Dieses Gefühl der Zugehörigkeit kann von verschiedenen Signalen ausgelöst werden; noch immer von dem eines Ortes und dem besonderen Zauber, den er mit seinem Duft, seiner Silhouette, seinem Licht auf den Menschen ausübt. „Heimatlob“ hat Martin Walser sein Buch über den Bodensee genannt.

„Unsere Hügel sind harmlos“, schreibt er über die Transitlandschaft seiner Heimat, „der See ist ein Freund. Wir sind in tausend Jahren keinmal kühn.

Unsere sanften Wege führen überall hin.“ Wolfgang Schäubles Heimkehr hat stets Natur zum Ziel, den Schwarzwald seiner Kindheit. „Ich sehe die Berge und die Täler. Und genieße es, allein zu sein, nichts zu hören. Dann entspanne ich. Ich bin zu Hause.“ Zu Hause sein – warmes Gefühl in einer kalten Welt. Runaway-World, in der nichts hält und niemand Halt findet. Es sei denn, er hat Heimat.

Durch Orte, Menschen, Glauben, den Kokon des Vertrauten, das Gefühl von Beständigkeit. Heimat – Cashmere für die Seele. „Heimat, Himmel, Heimkehr“, besang Wolfgang Borchert seine Heimatstadt Hamburg, „Geliebte zwischen Himmel und Hölle, zwischen Meer und Meer; Mutter zwischen Wiesen und Watt, zwischen Teich und Strom; Engel zwischen Wachen und Schlaf, zwischen Nebel und Wind: Hamburg!“ „Heimat ist nichts Einfaches, ist immer widersprüchlich“, sagt Regisseur Edgar Reitz. Ein Ton von Trauer und Melancholie schwingt stets mit. Denn die heimatlichste Heimat ist das Land der Kindheit, das Reich der Erinnerung.

Bei allen Anfällen von Depressivität rette er sich in seine Heimat, in die Erinnerung an die Kindheit, bekannte Thomas Gottschalk: „Das ist Kulmbach, die Landschaft, der Rehberg, die Plassenburg, bildhafte Erinnerungen. Von der Pfarrkirche „Unsere liebe Frau“ kommt mir der Altar in den Sinn, und ich erinnere mich an den abgestandenen Weihrauchgeruch, an dieses etwas langgezogene Orgelspiel des Herrn Hertl.

In diesen Erinnerungen kann ich Ruhe finden, obwohl manches nur noch in Teilen besteht.
Die Pfarrkirche existiert noch, der Herr Hertl nicht mehr. Die Strumpffabrik, die Färberei stehen nicht mehr, doch wenn ich an diesen Stätten vorbeigehe, zieht mir, einem Phantomschmerz gleich, immer noch der säuerliche Geruch der Färberei in die Nase.

Diese Erinnerungen geben mir ein Gefühl der Vertrautheit, sie beruhigen mich. Niemand kann es mir nehmen – das ist meine Heimat.“ Thomas Gottschalk und seine Familie, die seit elf Jahren in Kalifornien lebt, bereiten die Rückkehr ins Land der Heimat vor; Gottschalk hat gerade das Schloss Marienfels am Rhein gekauft.

Heimat: Ort der Erinnerung, des Innehaltens, des Beharrens und des Widerstands gegen den rasenden Wandel. „Es gibt etwas in unserer menschlichen Natur“, sagt Regisseur Edgar Reitz, „das sich den permanenten Beschleunigungen widersetzt. Man kann das Wachstum eines Kindes nicht beschleunigen. Man kann die Entstehung eines Kunstwerkes nicht beschleunigen. Man kann das Gesundwerden oder das Krankwerden nicht beschleunigen. Man kann den Reifeprozess eines guten Weines nicht beschleunigen.

Der Beschleunigungsrausch hat auch immer wieder in Sackgassen geführt. Man siegte sich zu Tode. Man begriff die Welt immer besser und verlor sie zugleich.“ Im Gegensatz zur erinnerten Heimat ist die wirkliche – die doch Hort des Vertrauten und der Geborgenheit sein soll – anfällig für Veränderungen. Menschen sterben, Häuser werden abgerissen, Flüsse begradigt, Fabriken geschlossen, Windkraftanlagen gebaut.

Heimat will Stillstand, den es nicht gibt. Das Leben will den Wechsel. Deswegen ist jede Heimat, kaum dass sie errungen wurde, immer auch schon verlorene Heimat. Vielleicht ist Heimat eigentlich ein imaginärer Ort, der, an dem sich Nostalgie und Utopie umarmen. Ein Wunschtraum. Der Traum von einem Ort ohne Zeit, ohne Geschichte, ohne Gemeinheit, Bosheit und Niedertracht. Vielleicht findet man wahre Heimat immer nur, wie die in Afrika geborene und in Deutschland lebende Sängerin Senait Mehari, bei sich selbst.

Für Ernst Bloch, den unverzagten Verfechter des Traums nach vorn und des Prinzips Hoffnung war Heimat allerdings viel mehr. Nicht weniger nämlich als das eigentliche große Ziel des Menschen.

Hat der zu sich selbst und seinen Möglichkeiten gefunden – so endet Blochs großes Werk „Prinzip Hoffnung“ -, dann wird in der Welt etwas entstehen, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“.