Vertraute Kulissen der Sehnsucht

Mit der Heimat ist es wie mit der Liebe – niemand kann sich ihr entziehen. Sie löst heftige Gefühle aus. Sie macht glücklich. Und manchmal möchte man so weit weg von ihr wie möglich. Beide haben einen festen Anker im kollektiven Unbewussten, dort, wo das Träumen und die Sehnsucht sitzen, und wo die ersten Spuren des Bewußtsein entstehen. Dort also, wo Bilder besonders präsent und prägend sind. An einem kühn kalkulierten Nullpunkt des Begehrens, des Ideals und der hoffnungslos romantischen Wunschvorstellungen von einer heilen Welt gerade angesichts einer als unübersichtlich empfundenen, sich scheinbar immer schneller drehenden, modernen Welt entzündet sich die „Heimat“ – Serie von Anne-Marie von Sarosdy und entwirft Motive geradezu unerhörter Idyllen.

Lieblich? Höchstens im ersten Augenblick. Abgründig? Immer gerne. Kitsch, Kunst, Kopfkino: Diese Fotografien bedienen – mit einem Augenzwinkern – alles auf einmal. Sie machen Spaß. Und sie sind uns auch ein bisschen unheimlich. Anne-Marie von Sarosdys lustvoll arrangierte Idyllen sind mutig in ihrer strategisch genutzten Perfektion und Emotionalität. Die träumende Sehnsucht der Romantik und der Rückgriff auf Naturmythen treffen auf die Härte der semantischen Entleerung; auf das Bewusstsein um das Hohle des ikonografischen Versprechens. Das virtuos inszenierte Bild, das uns auf den ersten Blick fasziniert, funktioniert als Ikone oder auch als Votivbild. Es fasst die menschlichen Archetypen ins Bild, bettet sie ein in eine ebenfalls archetypisch inszenierte Natur und überhöht somit beide.

Wir sehen prachtvolle Bergketten, vor denen sich Magd und Knecht im Kuß begegnen, umglänzt vom Sonnenschein, den aufrechten Recken und die Mutter mit Kind in sakral überhöhter Farbgebung in türkis, rosa und gold wie eine Madonna auf dem Lande, die Liebenden im Stroh, den Jäger im grünen Wald und die junge Bäuerin an der Tränke, die fragend den Blick in die Ferne richtet. Anne-Marie von Sarosdys Fotokunst schafft Sehnsuchtsbilder erster Ordnung. Es ist schlicht unmöglich, sich der Aktualität und der archetypischen Kraft dieser Bilder zu entziehen: zu nah sind sie den ursprünglichsten

Vertraute Kulissen der Sehnsucht

Wünschen und Träumen, die jeder von uns in sich trägt. Lust und Ehre, Verführung und Reinheit, Glaube und Sünde stehen hier – jenseits aller Konfessionen gleichwertig neben- einander. Sarosdy streut eine glitzernde Dosis Katholizismus ein in Gestalt einer schwarz gewandeten Büßerin in einer opulenten Barockkirche. Dazu gesellen sich üppige Mägde mit Schubkarren wie Füllhörner, kräftige Burschen mit übervollen Milchkübeln – „Honi soit qui mal pense…!“

Diese zeitlosen Begegnungen auf der Alm wissen subtil zu verführen: von der spannungs- reichen Qualität der Inszenierung über das filmreife Licht bis zu den opulenten Bildrahmen, die jedes Motiv in Edelweiß, Alpenveilchen und Enzian einfassen. Anders als die artifiziellen Paradiese der französischen Kitsch-Meister Pierre et Gilles ist die von Sarosdy inszenierte Perfektion berührbar – sie zeigt echte Menschen in echten Landschaften – und ist deshalb doppelt anziehend. Anne-Marie von Sarosdy illustriert – voller Opulenz und Ironie – die vielschichtigen, durchaus ambivalenten Gefühle, die sich an ein Wort wie „Heimat“ knüpfen.

Ihre malerischen Epen erwecken das unbewußte Träumen zu neuem Leben. Sie entsprechen darin – ganz aktuell – einer mächtigen Tendenz, eigene, wieder überschaubare Räume zu besetzen; sich seiner individuellen Geschichte und seiner Wurzeln bewußt zu werden, und diese gegen die weltweite Gleichschaltung von Erfahrungsräumen und Lebensmustern zu setzen. In ihrer überbunten Realität gleichen diese Fotografien nicht zuletzt geradezu surrealen, schwerelosen Streifzügen durch imaginäre Traumwelten, die uns einladen sich verführen zu lassen. In diesen Bildern fehlt es an nichts. Es ist schöner als schön, realer als real, präsenter als präsent.

Es ist alles so, wie es sein sollte. Sie überschreiten lustvoll Genres und Konventionen und öffnen damit ein bildkünstlerisches Terrain, das im Vertrauten das Provozierende aufschei- nen lässt – und mehr über unsere verdeckten Sehnsüchte zeigt, als uns lieb sein mag.

Magdalena Kröner – Kulturjournalistin