Heimat, ein Unwort. Heimatromane, man schämt sich, so etwas nur überhaupt zur Kenntnis nehmen . Die Bildchen auf den Umschlägen der gängigen Heftchen, man schaut schnell darüber hinweg, als ob man bei einer tabubelegten Handlung erwischt werden könnte.
Kein Ort, nirgends.
Diese traurige, traurig machende Formulierung der Psychoanalyse, diese Weltformel unseres letzten Jahrhunderts, ist vielleicht die tiefste Wahrheit unserer Existenz.
Der ununterbrochene Blick in diese Wahrheit ist aber schwer auszuhalten. Der Abgrund, der sich in ihr auftut, macht schwindelig. Nur der Blick nach oben, in den Himmel und die Flucht in die Illusion kann den Fall verhindern.
Und dieser Himmel ist in unserem Fall der Heimatroman, der Aufmacher, dass Aufmacherfoto, ist seine Synthese und Versprechen.
Diese Gedanken sind angelehnt an eine Veröffentlichung von Elisabeth Bronfen, Psychoanalytikerin und Sozialwissenschaftlerin , die sie entwickelt hat über die Illusionsspiele in Hollywoodfilmen (1999) .
Wir finden in unserer deutschen Umgangssprache vielerlei Begriffe, die entweder noch unmittelbar aus der Sprache des Dritten Reiches stammen (Lingua Tertiae Imperii), Klemperer) oder zum Teil kostbare Begriffe sind wie Stolz, Ehre und auch Heimat, die als durch die Nationalsozialisten vergewaltigte Begriffe angesehen werden können.
Eng verbunden mit dem Heimatbegriff ist das zugehörige Gefühl des Heimwehs, ein Zustand, den wohl jeder schon einmal von uns empfunden hat, und der wohl nicht als krankhaft angesehen werden kann. Das Kunstwort Nostalgie (aus griechischen nostos = Heimkehr und algos = Schmerz ) ist der medizinische Fachausdruck für das Heimweh .
Soziologen verstehen darunter :“ die symbolische Rückkehr zu oder Vergegenwärtigung von solchen Ereignissen (Objekte) des Erlebnisraumes, die den größten Satisfaktionswert bieten.“(Charles Zwingmann)
Diese schöne soziologische Formulierung ist sperrig und weigert sich, unmittelbar verstanden zu werden. Aber, wir bleiben hängen an der Formulierung einer symbolischen Rückkehr. Gibt es keinen Weg zurück ins Paradies?
Die Psychologen und Psychotherapeuten, die in ihren Praxen heimwehkranke Kinder behandeln, wissen darum, dass es gerade nicht die Kinder sind, die aus guten stabilen Familien kommen, die gefährdet sind, heimwehkrank zu werden , sondern die Kinder, die befürchten, durch ihr Weggehen in die Ferienfreizeit nun auch noch die ungewisse und instabile familiäre Sicherheit, die sie sich oft nicht eingestehen wollen, aufs Spiel zu setzen.
Offensichtlich verbirgt sich im Begriff der Heimat die Erfahrung der „Gebrochenheit“ , die Fremdheit ist die Voraussetzung der Heimat.
In den ersten fünfzig Jahren des letzten Jahrhunderts haben offensichtlich selbst die Psychoanalytiker noch daran geglaubt , es gebe so etwas wie ein Paradies. Diese vermuteten nämlich in der nostalgischen Reaktion , dem Heimweh eine unbewusste Sehnsucht nach der intrauterinen Vergangenheit im Mutterleib (Fodor, 1950), nach der Brust der Mutter (Sterba, 1940) oder gar nach den Penis des Vaters (Nicolini 1926).
Wenn wir aber, und dafür brauchen wir nur die Alltagserfahrung , einen Säugling oder ein Kleinkind in seinem Kampf um seine tägliche Existenz beobachten, so wissen wir, dass dieser Kindheitszustand, und das zeigen auch die Beobachtungsmöglichkeiten ihm intrauterinen Bereich, alles andere als ein paradiesisches Nirwana ist.
Das Paradies kann es also nicht sein, wohin wir im Heimatwunsch wieder hin zurückwollen, aber vielleicht ist es etwas, was ganz nah an diesem Paradiesversprechen gelegen hat.
Eigenartigerweise ist , wenn wir uns die Heimatromane, die Heimatfilme und auch die entsprechenden Fotografien vergegenwärtigen , Heimat nie allein der eigentliche familiäre Raum, sondern ein Raum, der die Familie umfasst.